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29.01.2020

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Lesevorschau "CREE – Die Weissagung"

Ein Thriller von John Kellermann
(erhältlich ab Herbst 2020)

 

Freitag, München, German Re. Dr. Rainer Bahlo riss die Tür auf. Wie von einer Tarantel gestochen stürzte er aus seinem Büro ins Klimazentrum des größten Rück­ver­sicherers der Welt.

„Krisensitzung!”, brüllte er in den Raum.

„Was ist los?” Knut Marbeck, Head of Risk Solutions, und zuständig für alle neuen Versicherungs­lösungen der Großindustrie, blickte entgeistert von seinem Bildschirm auf.

Dr. Bahlo war normalerweise die Ruhe selbst, unab­hängig davon, ob Waldbrände den halben Planeten vernichteten oder eine gebrochene Ölpipeline den Golf von Mexiko verseuchte. Sein Chef war Kopf des berühmten Klimateams der German Re, und zudem der weltweit angesehenste Atmosphärenphysiker.

In den letzten zehn Jahren hatten sie gemeinsam viele Krisen durchstanden. Dermaßen außer sich wie jetzt hatte Knut ihn noch nie erlebt.

„Sarah, Peter, Knut, ...”, rief Dr. Bahlo, als er durch die Schreibtischreihen hechtete. „In drei Minuten im großen Besprechungsraum! In voller Ausrüstung. Und sagt schon mal alle privaten Termine für heute Abend ab.”

Verdutzt blickten sich die Fachanalysten an. Plötzlich war es mucksmäuschenstill im Raum. Hier stimmte etwas nicht.

Alle wussten, was Dr. Bahlos exzellenten Ruf begründete: Man sagte, er könne Katastrophen „sehen”, bevor sie eintraten. Und das hatte weniger mit prophetischer Begabung zu tun, als mit seiner Fähigkeit, verschiedene Faktoren logisch zu kombinieren.

Knut Marbeck schnappte sich seinen Laptop und hastete in den Besprechungsraum.

Dort tigerte Dr. Bahlo bereits unruhig auf und ab.

„Sarah, Biskaya-Tief auf die große Projektions­fläche!”

Eilig tippte Sarah auf ihre Tastatur, bis nach wenigen Sekunden auf dem zwei mal zwei Meter großen Wandmonitor das gewünschte Bild erschien. In der Zwischenzeit hatten auch die übrigen Fachanalysten ihre Computer eingestöpselt.

Dr. Bahlo deutete auf eine Region, an der die Isobaren bereits eng zusammenlagen. Über dem See­gebiet zwischen Frankreich und der Nordküste Spaniens schoben sich blaue Linien immer mehr zusammen.

„Der Luftdruck ist unter neunhundert Hektopascal abgerutscht und fällt viel zu schnell weiter!”

Sarah warf einen kurzen Blick aus dem Fenster über die Dächer auf die im Hintergrund leuchtenden Alpen. Es war ein warmer Augusttag, der Himmel über München zeigte sich in gutartigem Blau. Keine Spur von einem Unwetter, während sich tausend Kilometer weiter westlich riesige Regenmengen wie für eine Schlacht formierten.

„Peter, sofort Stratosphärentemperatur hochladen!” Dr. Bahlo zeigte auf den Monitor hinter sich.

„Sarah, Plattentektonik Zentraleuropa daneben!”

„Peter, zuerst deine Einschätzung.”

Peter ging nachdenklich nach vorn und begann die Fakten zu analysieren.

„Über der Biskaya haben wir minus dreißig Grad in fünf Kilometer Höhe. Die Temperatur liegt unge­wöhnlich tief ... Bei einer aktuellen Oberflächen­temperatur des Nordatlantiks von plus vierundzwanzig Grad ...” Peter vollendete seinen Satz nicht.

Auch Sarah Helland hatte mitgerechnet: Die Temperatur­differenz betrug unglaubliche vierundfünfzig Grad Celsius! Bildete sich jetzt auch bei uns ein Monster-Hurrikan?

„Das bedeutet Unwetter, wie wir sie noch nie erlebt haben. Sturm, Gewitter, Tornados, das ganze Programm. Und Regen, Regen ohne Ende.” Peter war schon wieder auf dem Weg zurück zu seinem Laptop. „Eine Apokalypse”, flüsterte er geschockt, während er sich setzte.

In der Zwischenzeit ging Sarah, Expertin für europäische Plattentektonik, nach vorn. Ihr Blick wanderte von einem Monitor zum anderen, während die Kollegen unruhig auf ihre Risikoeinschätzung warteten. Auf einmal erkannte Sarah, was Dr. Bahlo vermutlich in den Daten gelesen hatte.

„Aachen ... Roermond ... Köln”, sagte sie ganz langsam. „Die Niederrheinische Bucht wird weich.”

„Wir müssen sofort eine Katastrophenwarnung heraus­geben!”, unterbrach Knut die Stille, die sich im Raum ausgebreitet hatte.

„Und was soll da drinstehen? Ungewöhnliche Temper­aturen in der Stratosphäre? Ein Monstersturm der Spannungen in der Erdkruste löst und weiche Schollen zerbrechen lässt? Europa ist unverzüglich zu evakuieren! Frauen und Kinder zuerst. Bitte benutzen Sie die Rettungsboote!”, bellte Dr. Bahlo als Antwort in den Raum, weniger an Knut direkt gerichtet, als an all die ahnungslosen Gesichter der anwesenden Analysten. Seine Worte verhallten in der Stille.

Knut Marbeck gingen viele Gedanken durch den Kopf: Gerade erst hatten sie zwei Jahre mit verheerender Trockenheit und Schäden in Milliardenhöhe über-standen. Durch den lang ersehnten Regen der letzten Monate waren die Stauseen endlich mal wieder randvoll. Endlich! Alle waren glücklich. Aber Stauseen dürfen nie überlaufen, das war ihm bewusst. Jetzt eine Warnung zum Ablassen des kostbaren Wassers rausgeben? Und was, wenn der Sturm dann gar nicht bis zu ihnen kam?

„Dieses gefährliche Gemisch über der Biskaya trifft in zwei Stunden auf Bordeaux und die Pyrenäen. Übermorgen könnte der Sturm Deutschland erreichen.”

 
 

*

 

Freitag, in der Nähe von Aachen-Herzogenrath. In der Nähe der deutsch-holländischen Grenze kämpfte Rabea gegen die tief­hängende Zweige, die ihr immer wieder ins Gesicht schlugen. Schützend hob sie ihre Hand vor das Gesicht und kämpfte sich weiter durch das Dickicht. Der Trampelpfad war kaum zu erkennen, nur die dunklere Färbung des nassen Laubes auf dem Waldboden deutete den Weg an.

Markus Manx ging dicht hinter ihr. Mit gesenktem Kopf versuchte der Frankfurter Journalist, den zurück­schlagenden Zweigen aus­zuweichen.

„Bist du sicher, dass wir noch richtig sind?”

Wortlos bog Rabea vor ihm die nächsten Äste zur Seite.

Plötzlich ein Rascheln.

„Keine Bewegung!”, raunte jemand aus nächster Nähe Markus ins Ohr.

Markus spürte den feuchten Atem an seiner Wange und einen unangenehmen Geruch in seiner Nase. Dann bohrte sich etwas Spitzes in seinen Hals und ließ ihn erstarren.

Erschrocken drehte sich Rabea um.

„NOAH! Spinnst du? Nimm das Messer weg!”

„Ohne Ankündigung hier einzudringen ist gefähr­lich, das weißt du”, zischte der Angesprochene.

Markus stand noch immer regungslos da. Endlich senkte sich die Hand mit dem Messer.

Rabea umarmte den Mann, der in seiner gefleckten Tarnjacke kaum von den Bäumen zu unterscheiden war. „Das ist Noah. Er sieht zwar aus wie ein Prepper, der auf die Apokalypse wartet, ist aber ein Grüner, der seit über zehn Jahren im Wald lebt.”

Markus atmete erleichtert auf. Er schätzte den schlanken Mann mit der braun gegerbten Haut und den zum Pferdeschwanz zusammengebundenen schwarzen Haaren auf Mitte Dreißig. Markus’ Blick blieb an dem blutigen Messer in dessen Hand hängen. Reflexartig fasste er sich an den Hals.

„Kaninchen!”, erwiderte Noah auf Markus’ weit auf-gerissene Augen. „Gibt’s zum Mittag, wenn ihr mögt.”

Noah gab ihnen ein Zeichen und sie folgten ihm.

Nach vielleicht hundert Metern versperrte ein kleiner Bach den Weg. Noah schob ein paar Äste zur Seite, die einen umgestürzten Baumstamm verdeckten. Sie über­querten den Bach und folgten dem Mann in der Tarnjacke, bis er vor einer schmalen Felsspalte stehenblieb.

„Ich zeige euch, was hier gerade los ist”, sagte er und verschwand in einem etwa fünfzig Zentimeter breiten Schlitz, Rabea folgte, als Letzter zwängte sich Markus zwischen den bedrohlichen Felswänden durch. Obwohl mitten am Tag, wirkte es hier unten dämmerig. Nach wenigen Metern weitete sich der Weg, und spärliches Sonnenlicht drang bis zu ihnen am Boden durch.

Rabea hatte die Autofahrt von Frankfurt genutzt, um Markus Noahs Nachricht sowie die geologischen Hinter-gründe zu skizzieren. Hier in der Nähe von Herzogen­rath, kurz vor der holländischen Grenze, begann die Niederrheinische Bucht. Das allmähliche Zerbrechen und Einsinken der Erdschollen hatte vor vielen Millionen Jahren begonnen und die Gegend geformt.

Noah blieb stehen und deutete auf eine Stelle im Gestein. „Hier geht die Bruchstörung seit Urzeiten fast senkrecht durch den Felsen.”

Markus konnte deutlich erkennen, dass sich die bunt übereinander gestapelten Gesteins­schichten auf beiden Seiten des Risses um mindestens einen Meter verschoben hatten.

„Diese Senkung hat mehr als eine Million Jahre gedauert.” Noah legte den Zeigefinger auf eine von ihm angebrachte Markierung. Ein feiner weißer Strich führte früher gerade über die Bruchstelle. Jetzt war der Strich rechts um vier Zentimeter abgesackt. „Der Feldbiss lebt”, flüsterte er. „Dieser Einbruch ist in den letzten zwei Wochen passiert!”

„Das ist unmöglich.” Rabea starrte ungläubig auf die Stelle. „Geologisch gesehen sind Wochen ein Wimpern­schlag.”

„Abwarten”, warnte Noah. „Es kommt noch viel schlimmer.”

 

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